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Welcome to my blog. This is a place where I think out loud, show you what I’m up to in the studio, share impressions of inspiring events or everyday moments that moved me. Some entries are carefully curated essays, others are just a few thoughts, sometimes written in English and sometimes in German.
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Blätterfresser
Die Blätterfresser erzählen vom tödlichen Leben, vom lebendigen Sterben. Sie erinnern daran, dass nichts ewig ist, und doch alles immer wiederkehrt. Daran, dass auch wir Narben und Fraßspuren sammeln, die oft nur den Überlebenswillen anderer Wesen auf unseren Körpern und Seelen markieren.
Auf dem Unikampus, den ich täglich überquerte, entdeckte ich eines Tages eine Hecke mit von Insekten zerfressenen Blättern. Die löchrigen Fraßkanten bildeten ein filigranes Muster, das gleichzeitig von Leben und Tod erzählte. Manche Blätter zeigten nur ein paar verstreute Löcher wie zufällig fallen gelassene Perlen, andere waren bis auf ein Skelett abgenagt. Die Fraßspuren wurden beim längeren Hinsehen zum sich wiederholenden aber doch immer neu ausgeprägten Muster, zum Ornament.
Hier waren zwei Lebenswillen ineinander verzahnt: Ein kleines Knabberwesen auf der Suche nach Nahrung, und ein größeres Pflanzenwesen auf der Such nach Licht. Ich sah ein für unsere menschlichen Ohren stilles Drama, eine Geschichte von Geben und Nehmen und Überleben, vom Trotzen. In einer Zeit in der ich mich selber manchmal etwas un-heil fühlte, war ein Blatt, das Verletzungen wie Schmucknarben trug und doch lebte und funktionierte und photosyntierte, für mich ein starkes Symbol.
Ich schuf daraus die Kollektion Blätterfresser: Ohrringe, Broschen und Taschenglücksbringer, handgesägt aus Silber, Gold oder Kupfer, in bunt schillernden Farbtönen einzigartig emailliert. Bis heute sind viele Stücke für diese Kollektion entstanden, und jedes einzelne hat einen ganz individuellen Charakter.
Die Blätterfresser erzählen vom tödlichen Leben, vom lebendigen Sterben. Sie erinnern daran, dass nichts ewig ist, und doch alles immer wiederkehrt. Daran, dass auch wir Narben und Fraßspuren sammeln, die oft nur den Überlebenswillen anderer Wesen auf unseren Körpern und Seelen markieren.
Mit meinen hellgrünen Blätterfressern aus Gold und Emaille fühle ich mich stark. Sie erinnern daran, dass wir durch unsere löchrig gefressenen Lebensgeschichten manchmal sogar schöner, interessanter und vor allem eigener werden.
Das Sieb für Ängste
Ich wollte wissen, wie Angst unterm Mikroskop aussieht. Wie soll man sich Angst überhaupt vorstellen, was ist das eigentlich? Ich stellte sie mir als kleine Körner vor, die sich zusammenklumpen und sammeln, Angstkolonien bilden können. Oft, fand ich, ist die wahre Angst noch von einer schwammigen, schemenhaften Masse von Ungewissem umgeben. Eine algenartige, undurchsichtige Angst-vor-dem-Unbekannten, eine klebrige Angst-vor-der-Angst, die schwierig zu fassen ist und manchmal sogar bedrohlicher als die eigentliche Angst selbst.
Ich wollte wissen, wie Angst unterm Mikroskop aussieht. Wie soll man sich Angst überhaupt vorstellen, was ist das eigentlich? Ich stellte sie mir als kleine Körner vor, die sich zusammenklumpen und sammeln, Angstkolonien bilden können. Oft, fand ich, ist die wahre Angst noch von einer schwammigen, schemenhaften Masse von Ungewissem umgeben. Eine algenartige, undurchsichtige Angst-vor-dem-Unbekannten, eine klebrige Angst-vor-der-Angst, die schwierig zu fassen ist und manchmal sogar bedrohlicher als die eigentliche Angst selbst.
Mitten in der Pandemie merken wir umso mehr, wie diese schleimige Schlammschicht aus Ungewissheit um uns herum wächst und alles zu verschlingen droht. Die verschiedenen Ängste verschiedener Menschen geraten hier deutlich in Konflikt miteinander.
Um an den Kern der Angst zu kommen, müsste man sie irgendwie säubern, fand ich, sieben, entschlacken. Wie ein Goldwäscher, der den Schlamm geübt in sanften Kreisen ausspült, bis nur noch die glitzernden Nuggets am Boden übrig bleiben.
Dazu fertigte ich also ein Sieb für Ängste. Eines der ersten Siebe war für meine Freundin Nicola, die damals in Shanghai lebte, wo die Welt manchmal überwältigend groß und weit und bedrohlich sein konnte. Das Sieb, in filigranen Mustern handgesägt aus Silber und anschließend magisch-schillernd emailliert, lässt sich als Anhänger tragen, Talisman und Werkzeug gleichzeitig. Dieses besondere Sieb birgt einen großen, tief tannengrünen Turmalin in seinem Innern. Denn der Kern der Angst, wenn man sie entschleimt und entschlackt und von aller schmierigen Ungewissheit befreit hat, stellt sich oft als kleiner Schatz heraus. Wenn wir beispielsweise Angst davor haben, jemanden zu verlieren, bedeutet das ja, dass diese Person uns sehr wichtig ist. Angst ist also auch – manchmal – eine Kehrseite der Liebe.
Inzwischen sind einige Siebe für Ängste entstanden, manche schlicht, andere aufwändig, als Objekt, als tragbares Schmuckstück, mit Edelstein im Herzen und ohne. Die folgenden Bilder zeigen eine Reihe dieser Seelengeräte, im Entstehen und als fertige Kreationen.
Im Sommer 2022 erhielt ich das Stipendium „Junge Kunst und Neue Wege“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, das mir erlaubte, mich einem größeren künstlerischen Projekt zu widmen. Im Rahmen dieses Stipendienprojekts habe ich die Kollektion SYBILLA entwickelt, die auf den Herbstmessen dieses Jahres zum ersten Mal präsentiert wird.