WARUM EIGENTLICH EMAILLE?
Das Emaillieren ist mehr als eine Werktechnik für mich, es ist ein Dialog, ein Tanz, ein Geben und Nehmen, nötig in einen dynamischen Schaffensfluss einzutauchen. Der Prozess des Emaillierens wird so zum Ritual, und die Farben zu Mitgestaltern des Geschehens.
Vereinfacht gesagt, wird beim Emaillieren eine glasähnliche Mischung aus Silikaten und Oxiden entweder in Pulverform oder flüssig auf ein Trägermetall aufgetragen und bei hohen Temperaturen im Brennofen aufgeschmolzen. Der glänzende Glasüberzug erlaubt eine leuchtende Farbgestaltung, die durch komplexe Lichtbrechung in transparenten Farbschichten oder ineinander gemischte, changierende Farbpunkte für das menschliche Auge magisch wirkende Effekte erzielt.
Oberflächlich gesehen, handelt es sich dabei um eine von vielen Schmucktechniken, die durch moderne Technologien wie elektrische Brennöfen und Pulverpressen wesentlich vereinfacht wurden. Trotzdem trete ich bei meiner Arbeit in die Fußstapfen einer Tradition, die über Jahrtausende hinweg durch aufwendige und okkult verschlüsselte Methoden den Elementen ihre Geheimnisse zu entringen suchte.
Ich verfalle dem Rhythmus der Arbeit, dem aufwändigen Waschen der Farben, dem Öffnen und Schließen des Brennofens, der Wartezeit der tickenden Bauchuhr, dem glühenden Hitzeschwall, dem metallischen Geräusch des Erkaltens, der Wiederholung der Bewegungen, dem Kreisen um eine nie erreichbare Perfektion. Alles synchronisiert sich zu einem größeren Ein- und Ausatmen. Die Zeit steht still und bewegt sich doch im unaufhörlichen inneren Takt weiter. Ich arbeite im Trance.
Der Emailletanz, zum Ritual geworden, verbindet für mich die von Geheimnissen ummantelten Traditionen der Alchemie, Goldschmiedekunst und Mystik zu einem verwobenen Ganzen. Wie auch in diesen antiken Künsten, spielen die klassischen Elemente beim Emaillieren eine wichtige Rolle: Das Wasser des Waschens, das Feuer des Brennofens, das Metall und die Farboxide aus der Erde, die chemischen Reaktionen, erst durch die Luft ermöglicht - sie alle bestimmen durch ihren Einfluss den Ausgang des Geschehens.
Dem Arbeitsprozess wohnt für mich eine Magie inne, die es hervorzulocken gilt. Das funktioniert nicht mit Wille und Gewalt, sondern nur durch Zeit und Zuwendung, Geduld, Demut, und dem Wissen, dass dieser Emailletanz mir eine Tor zu etwas Größerem, Mitreißenden öffnen kann.
Dabei sind Farben für mich von großer Bedeutung. Schon als Kind war meine Welt von Farben bevölkert; Ziffern, Buchstaben und Töne waren mit bestimmten Farben assoziiert und Wörter oder Zahlenreihen folglich als Farbsequenzen abgespeichert. Die Farben entwickelten eigenen Persönlichkeiten für mich, eigene Wesen mit individuellen Charakterzügen und eigenen Intentionen. Das Emaillieren zog mich wohl deshalb so früh in meiner Schmuckkarriere in seinen Bann, weil ich dort die Begegnung mit den Farben für mich erlebbar machen konnte.
Was wollen die Farben? Wie kann ich sie verstehen lernen, mich annähern? Beim Emaillieren geben sie sich mal zickig und verschrumpelt, dann wieder glatt wie windstilles Wasser, trüb, leuchtend transparent oder opak und verschlossen, verspiegelt, geschmeidig und umgänglich, oder abweisend und spröde; manche verlangen Lage um Lage sorgfältig übereinander geschmolzener Präzision, andere sind beim ersten Versuch speckig-glatt und zufrieden. Schnell beleidigt brennt sich die eine Farbe Löcher in den Rand, eine andere glättet Unebenheiten und Meinungsverschiedenheiten mit großzügiger Gestik.
Um die Farben besser kennen zu lernen, bekommen sie von mir eigene Namen, Alltagsdichtungen, die ich aus persönlichen Erfahrungen und Assoziationen heraus für jede Farbe finde. Dafür muss ich mich im Zuhören üben, muss mich die Farbe etwas angehen lassen, mich ihr vertraut machen. Mir die Farbe vertraut machen - das beutet, sich zu öffnen, sich verletzlich machen. Ich suche nach Namen, die auf der Zunge prickeln, beschreibende Namen wie „Schnee von Gestern“ oder „Geisha Blush“ oder „Madame de Pompadours Kleid“, „Verbrannte Koralle“ oder „sonnendurchflutete Eichenblätter im Frühling“. Ich weiß damit nicht nur genau, was gemeint ist, sondern kann auch einen Fetzen Lebenserfahrung in einer Arbeitschronik greifbar festhalten.
Farben sind soziale Wesen. Am stärksten ist eine Farbe in Kombination mit genau der richtigen anderen Farbe. Diese Kombinationen ergeben sich oft experimentell, sind unvorhersehbar und einzigartig; mal stärken sich die Farben im Trio, oder schwächen sich gegenseitig in ihrem Auftreten. Selten lässt sich eine gelungene Kombination oder ein Farbeffekt ganz genau duplizieren.
Und während ich langsam begreifen lerne, erkenne ich, wie viel es noch zu lernen und zu verstehen gibt, und fühle mich von einer Ehrfurcht vor der Größe des Ganzen ergriffen.
Diese innere Welt, verborgen hinter der glänzenden Oberfläche des Emaille und regiert vom Pantheon der Farben und Elemente, begleitet mich auch über den Arbeitsprozess hinaus in meinen Alltag. Die Farbgötter und Elemente beherrschen für mich auch Jahreszeiten, Zyklen, Emotionen, Lebensphasen, Transformationen im Großen und im Kleinen.
Verlangen die Farbgötter Opfer? Alles hat seinen Preis, und meistens bezahlen wir mit Lebensenergie, mit unserer unwiederbringlich dargebotenen Zeit. Die Farben verlangen echte Hingabe und Aufmerksamkeit, um sich in ihrer vollen Pracht zeigen zu können. Nur durch die ehrlich und ernst gemeinte Bereitschaft, mich ihnen zu widmen, geben die Farben sich wirklich preis. Die Stücke, die aus einer solchen Hingabe geboren sind, flirren in einem eigenen, kaum wahrnehmbaren Energiefeld. Durch diesen Entstehungsprozess, durch die Waschung in reinem Wasser und die Läuterung des Feuers, wird zudem etwas im Wesentlichen der Farben befreit, aus sich selbst herausgelöst, das wohl zu spüren ist aber niemals in Worte zu fassen.
Während ich diesem Weg des Emaillierens folge, kann ich unter endlos vielen Seitenpfaden wählen. Ich kann Goldschmiedekunst, Farblehre und Farbpsychologie durch eine kulturhistorische Linse betrachten, kann mich in die Tiefen der Optik verstricken, in die Mystik und Alchemie eintauchen, oder mich im Zauber der Edelsteine verlieren, von dort zur Geografie und Geschichte des Kostbaren hüpfen, mich in den Wirren eines Krieges stürzen, immer auf der Spur der Frage, was den Menschen zu welcher Zeit etwas bedeutet hat, und warum. Solche Exkursionen bringen mir das Thema mit zunehmender Komplexität näher und verdeutlichen immer wieder für mich eine große Wahrheit: Alles ist mit allem Verknüpft. Alles nimmt Einfluss aufeinander. Und nichts ist jemals Bedeutungslos.